"Kann Sarkozy die Banlieues heilen?" – So lautet der etwas merkwürdig anmutende Titel einer Debatte, die an diesem Montag in einem Theater auf den Champs-Elysées stattfinden wird – als ob es sich beim Präsidenten um einen Wunderheiler oder bei der Problematik der französischen Trabantenstädte um eine Krankheit handeln würde. Für einen stolzen Eintrittspreis von 15 Euro, den sich mutmaßlich kaum ein Bewohner der sozialen Krisenzonen in den Banlieues würde leisten können, dürfen die zahlenden Zuschauer einer Reihe als hochkarätig geltender Gäste zuhören. Zu ihnen zählen die Staatssekretärin für "Stadtpolitik" – die in Wirklichkeit auf die Vorstädte spezialisiert ist – Fadela Amara, der frühere konservative Städtebauminister Eric Raoult, ein kommunistischer Banlieue-Bürgermeister aus der Nähe von Lyon (André Gérin, Stadtoberhaupt von Vénissieux) und mehrere Soziologen. Veranstalter sind, wie bei diesen Montagsdebatten am "Kreisel" auf den Champs-Elysées üblich, die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde' und die Theaterleitung gemeinsam mit einem Meinungsforschungsinstitut. …
"Kann Sarkozy die Banlieues heilen?" – So lautet der etwas merkwürdig anmutende Titel einer Debatte, die an diesem Montag in einem Theater auf den Champs-Elysées stattfinden wird – als ob es sich beim Präsidenten um einen Wunderheiler oder bei der Problematik der französischen Trabantenstädte um eine Krankheit handeln würde. Für einen stolzen Eintrittspreis von 15 Euro, den sich mutmaßlich kaum ein Bewohner der sozialen Krisenzonen in den Banlieues würde leisten können, dürfen die zahlenden Zuschauer einer Reihe als hochkarätig geltender Gäste zuhören. Zu ihnen zählen die Staatssekretärin für "Stadtpolitik" – die in Wirklichkeit auf die Vorstädte spezialisiert ist – Fadela Amara, der frühere konservative Städtebauminister Eric Raoult, ein kommunistischer Banlieue-Bürgermeister aus der Nähe von Lyon (André Gérin, Stadtoberhaupt von Vénissieux) und mehrere Soziologen. Veranstalter sind, wie bei diesen Montagsdebatten am "Kreisel" auf den Champs-Elysées üblich, die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde' und die Theaterleitung gemeinsam mit einem Meinungsforschungsinstitut.
Ob die Politik von Staatspräsident Nicolas Sarkozy etwas zugunsten der Einwohnerschaft in den französischen Banlieues wird ausrichten können – das entscheidet sich freilich nicht in solch vornehmer Umgebung, inmitten eines der reichsten Bezirke der französischen Hauptstadt, im 8. Pariser Arrondissement. Es wird an jenen Menschen in den früheren Arbeitervorstädten und jetzigen sozialen "Notstandszonen", die am Montag – wenn überhaupt – nur in geringer Zahl zugegen sein dürften, liegen, längerfristig über den Erfolg oder Misserfolg dieser Politik zu befinden. Allerdings hatte das Staatsoberhaupt am vergangenen Freitag selbst den Elysée-Palast, und damit einen Ort in eben diesem 8. Arrondissement und unweit der Champs-Elysées, ausgewählt, um seinen "Plan Hoffnung für die Banlieues" vor rund 1.000 geladenen Gästen zu verkünden. (vgl. die Rede Sarkozys).
"Pläne für die Vorstädte" sind nun beileibe keine neue Erscheinung. 15 Jahre ist es nun her, dass ein ministerielles Ressort im französischen Kabinett erstmals auf den euphemistischen Namen "Stadtpolitik" (politique de la ville) getauft worden ist. Es ging schon damals darum, die Krisenphänomene und sozialen Verwerfungserscheinungen – die sich in den Trabantenstädten der französischen Ballungszentren auf engem Raum konzentrieren und dadurch dem Betrachter wie durch ein Brennglas ins Auge fallen – zu bewältigen oder zumindest einzudämmen.
Erstmals wurde dieses Ministerium 1992 mit dem Populisten, politischen ‚Sunny Boy' und Präsidenten des Fußballclubs OM (Olympique de Marseille) Bernard Tapie besetzt, den der damalige Präsident François Mitterrand einmal als seine "Geheimwaffe gegen Jean-Marie Le Pen" bezeichnete und anscheinend als eine Art Wunder-Problemlöser betrachtete. Allzu weit her war es freilich nicht mit den Fähigkeiten Tapies, der sich später in einem seiner sonstigen Leben als Millionenbetrüger und Pleiteunternehmer herausstellte. Doch seitdem stapeln sich die, in periodischen Abständen herausgegeben, "Pläne" und Lösungsvorschläge für die Misere in den Banlieues, so dass man inzwischen eine Bibliothek mit ihnen und den zu ihrer Ausarbeitung erstellten Untersuchungsberichten füllen könnte.
Der neueste "Plan" führte allerdings zu einiger Verwirrung im Vorfeld. Denn noch bevor er am vergangenen Freitag offiziell vorgestellt wurde, führte er zu Ankündigungen und Dementis, zu verwirrendem Hin und Her im Regierungslager und zog zum Teil heftige Kritik aus den eigenen Reihen auf sich.
Rivalitäten im Hinterland
Ursprünglich sollte er am 22. Januar durch Staatssekretärin Fadela Amara in der Lyoner Vorstadt Vaulx-en-Velin vorgestellt werden. Diese Kommune gilt als ein relativ erfolgreiches "Laboratorium" bei dem Versuch, an den Krisenphänomenen in den Trabantenstädten zu arbeiten. 1990 fanden hier – nach gewaltsamen Zwischenfällen zwischen jugendlichen Bewohnern und der Polizei – sehr heftige Unruhen statt. 1995 wurde in einem Wald bei Lyon ein 25jähriger aus dieser Stadt mit Namen Khaled Kelkal durch Gendarmeriekräfte erschossen: Kelkal war dringend verdächtig, einer der "ausführenden Arme" bei den von algerischen islamistischen Terroristengruppen initiierten Bombenanschlägen in öffentlichen Verkehrsmitteln in Paris und Lyon zu sein. Doch später beruhigte sich die Lage vor Ort, Vaulx-en-Velin sorgte nicht für weitere Negativschlagzeilen.
Heute gilt das Bemühen der reformkommunistisch geführten Stadtverwaltung unter Maurice Charrier, Sozialeinrichtungen und Arbeitsplätze aufzubauen, als vorbildlich. Fadela Amara wollte deswegen den neuesten Plan für die Vorstädte durch einen Auftritt an diesem Ort präsentieren – und ließ vorab durchblicken, auch Präsident Nicolas Sarkozy könnte daran persönlich teilnehmen.
Aber dann herrschte plötzlich Unklarkeit auf der ganzen Linie. Seit Dezember wuchs die Kritik an dem, was Amara vorbereitete, aus dem konservativ-liberalen Regierungslager. Ihr Plan enthalte absehbar "nichts Neues" und sei eine Ansammlung hohler Allgemeinplätze, ließen Regierungspolitiker etwa über die Enthüllungszeitung ‚Le Canard enchaîné' wissen. Dann schoss auch ihre vorgesetzte Ministerin, Christine Boutin, gegen die Pläne der Staatssekretärin quer. Acht Tage vor dem geplanten feierlichen Auftritt in Vaulx-en-Velin erklärte die für Wohnungsbau und Stadtpolitik zuständige Ministerin, sie "glaube nicht an einen Plan für die Banlieues". Stattdessen ziehe sie eine "Politik für die Städte" insgesamt vor. In der katholischen Tageszeitung ‚La Croix' erklärte Madame Boutin:
Der ‚Plan für Chancengleichheit' von Fadela Amara ist vorrangig auf die Banlieues ausgerichtet. Ich glaube (hingegen) an eine viel globalere Antwort in Form einer neuen Politik für die Stadt. Man wird nicht die Probleme der ‚Quartiers' (Anm.: eine Chiffre für Armutsbezirke) durch einen x-ten Plan, der sich darauf beschränken würde, immer noch mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, lösen. Stattdessen ist eine räumliche, kulturelle, psychologische, wirtschaftliche Ent-Abkapselung (désenclavement) der ‚Quartiers' nötig.
Auch wenn Boutin kurz darauf dementierte, dass es Konflikte zwischen ihr und ihrer Staatssekretärin gebe, zeichnete sich doch ein ernsthafter Dissens in der Sache ab.
Für die Auseinandersetzungen zwischen der Ministerin und ihrer Staatssekretärin waren sicherlich auch persönliche Unverträglichkeiten verantwortlich. Beide Frauen haben tatsächlich ein sehr unterschiedliches Profil: Fadela Amara verfolgte über viele Jahre hinweg eine politische Karriere bei der sozialdemokratischen Partei. Sie galt lange Zeit als die patentierte "Antifundamentalistin" der linksliberalen Öffentlichkeit, da sie – von 2003 bis zu ihrem Regierungseintritt im Juni 2007 an der Spitze der Frauenorganisation Ni Putes ni Soumises' (Weder Nutten noch unterwürfig) stehend – gegen frauenfeindliche Gewalt und reaktionäre Tendenzen, vor allem islamischer Provenienz und vor allem in den Unterschichtsbezirken, aktiv war. Kritikerinnen und Kritiker warfen ihr allerdings seit längerem vor, durch ihre Bündnisse auch mit konservativen Kreisen und ihre Auftritte in Schicki-Micki-Magazinen sowie durch das Fokussieren ihres Kampfs auf regressive gesellschaftlich-kulturelle Entwicklungen in Einwanderer- und Unterschichts-Milieus in Wirklichkeit der "abendländischen" Mehrheitsgesellschaft als gutes Gewissen zu dienen.
Zudem wurde ihr ein ungehemmtes Karrierestreben vorgehalten, das viele ihrer Kritiker durch ihren Eintritt in ein konservatives Kabinett bestätigt sahen. Hingegen gilt Christine Boutin vielen, nicht ohne Grund, als "katholische Fundamentalistin". Die katholisch-konservative Sozialpolitikerin (und erfolglose Präsidentschaftskandidatin in eigener Sache im Jahr 2002), der gute Kontakte zum Opus Die nachgesagt werden, hatte 1999 die Bibel im französischen Parlament geschwenkt, als es darum ging, gegen die Einführung des PACS zu agitieren. Dieser ‚Pacte civil de solidarité' ist eine eingetragene Lebensgemeinschaft, die homo- wie heterosexuellen Paaren offen steht. Boutin verstand sich mit ihrer Geste als moralische Mahnerin vor diesem sündigen Vorhaben.
Auf der Grundlage christlich-katholisch fundierter "Nächstenliebe" hat Christine Boutin sich allerdings bei verschiedenen Anlässen auch über die Lage von Armen oder Gefängnisinsassen besorgt gezeigt. Ansonsten findet die Dame ihr Publikum aber überwiegend in "besseren Kreisen", während ihre Untergebene Fadela Amara bei ihren Besuchen in den Trabantenstädten schon mal im banlieuetypischen Jugendslang zu jüngeren Bewohnern spricht, was ihr bisweilen den Vorwurf der Demagogie einträgt.
Daran, dass Amara ihr – gegen ihren Willen – von "ganz oben" als Staatssekretärin in ihrem Ministerium aufgezwungen worden ist, hat Boutin vor allem in jüngerer Zeit ausdrücklich wenig Zweifel gelassen. Dass der Zusammenstoß zweier so unterschiedlicher Charaktere die Konflikte rund um den "Banlieue-Plan" der Regierung noch verschärft hat, dürfte außer Zweifel stehen. Und ebenso, dass es dabei unter anderem um die Frage der finanziellen Mittel ging, die der Staat für die Problemlinderung in den Sozialghettos der Trabantenstädte zur Verfügung zu stellen bereit ist. Manche der Formulierungen Boutins ließen dies im übrigen durchblicken, wenn sie etwa ironisch von "immer noch mehr Mittel(n)" sprach.
Auch ihr Beharren auf Faktoren einer "kulturellen" und "psychologischen" (Ent-)Abkapselung lässt erkennen, dass die Ministerin zumindest manche der Gründe für die – in Frankreich, gemessen an anderen europäischen Ländern, besonders starke – räumliche Segregation zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen vorrangig in der Geisteshaltung der Bewohner von Armutsghettos sucht.
Im Januar wurde die Bekanntgabe des Regierungsplans für die Banlieues dann letztendlich verschoben, und es wurde angekündigt, Präsident Sarkozy werde ihn persönlich am 8. Februar bekannt geben. Am 22. des Monats begab sich Fadela Amara zwar – wie geplant – nach Vaulx-en-Velin, freilich allein. Und sie konnte dort nur einige allgemein gehaltene "Grundzüge" des angekündigten Plans enthüllen (vgl. [local] Neue Dynamik für die Problemviertel). Unterdessen absolvierte Nicolas Sarkozy am Abend des 21. Januar, also am Vorabend ihres Besuchs, seinen eigenen ersten "Auftritt in den Banlieues" seit anderthalb Jahren, also seit dem Beginn des letzten Präsidentschaftswahlkampfs.
Der Allgegenwärtige endlich auch in der Vorstadt
Tatsächlich hatte sich Sarkozy während des letztjährigen Wahlkampfs nicht in die Pariser Banlieues getraut, aus Furcht vor negativen Bildern, und einen geplanten Besuch in Argentueil (nordwestlich von Paris) Anfang April sogar in letzter Minute abgesagt. Dort, in Argentueil, hatte Sarkozy Ende Oktober 2005 einige seiner berüchtigten Sprüche über die unruhige und straffällige Jugend der Banlieues geklopft, die – 48 Stunden vor den beiden Todesfällen unter Mitwirkung der Polizei in Clichy-sous-Bois – mit zum Ausbruch der damaligen dreiwöchigen Unruhen beitrugen. Sarkozy, seinerzeit Innenminister, hatte u.a. von ‚racaille' (Abschaum, Gesocks) gesprochen.
Am 21. Januar dieses Jahres war Sarkozy nun also, endlich, "in den Banlieues zurück". An jenem Abend hielt er sich in der westlich von Paris gelegenen Vorstadt Sartrouville in der Nähe des dortigen Bahnhofs auf. Sarkozy nahm zwar ein "Bad in der Menge" und diskutierte mit Anwesenden, verließ aber nicht die – relativ "sichere" – Innenstadt, um sich etwa zu den als Problemzonen geltenden Hochhaussiedlungen der Stadt wie der ‚Cité des Indes' zu begeben. Die satirische Puppensendung des französischen Fernsehsenders Canal Plus, ‚Les Guignols de l'info', spitzte diese Situation karikaturhaft zu: Sie zeigte Sarkozys "jugendliche Gesprächspartner" in Gestalt von zwei Krawattenträgern im Anzug, die sich krampfhaft bemühen, im Jugendslang der Trabantenstädte zu sprechen und jugendlich zu wirken.
Wichtig ist die "Grundphilosophie" des Ganzen
Letztendlich scheint Nicolas Sarkozy nun Christine Boutin tendenziell Recht zu geben, was die Auseinandersetzung um die Ausrichtung der neuen Maßnahmen für die Banlieues betrifft. Denn nun betonte das Präsidentenamt bei der Vorstellung von Sarkozys Programm "Hoffnung für die Banlieues" immer wieder, dieses solle nicht in allererster Linie als "Maßnahmenkatalog" betrachtet – und entsprechend auf die Tauglichkeit der einzelnen Vorschläge hin abgeklopft – werden, sondern wichtig sei insbesondere die "Grundphilosophie" des Ganzen und des "neuen Herangehens" an die Problematik.
Gleichzeitig wurden die dafür zur Verfügung stehenden Mittel offenkundig herunter gekocht. Fadela Amara hatte im Vorfeld von einer Milliarde Euro gesprochen, die für das Maßnahmenbündel zur Verfügung gestellt würden. Davon ist jetzt – jedenfalls auf der Ebene des konkret Angekündigten – nur noch die Hälfte übrig. Und bei diesen 500 Millionen handelt es sich nicht um neue Mittel, sondern lediglich um die Umwidmung von bereits längst geplanten Ausgaben. Im Rahmen des Umweltgipfels (‚Le Grenelle de l'environnement') von Ende Oktober 2007 waren längerfristige umfangreiche, öffentliche und private, Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs in Aussicht gestellt worden. Davon hatte Nicolas Sarkozy in seiner damaligen programmatischen Rede gesprochen.
Nun verkündet der Präsident, eine halbe Milliarde der in diesem Kontext ohnehin vorgesehenen Ausgaben würden für das Aufbrechen der Abkapselung (le désenclavement) der am weitesten von den städtischen Zentren entfernten und/oder am schlechtesten ans öffentliche Verkehrsnetz angeschlossenen Trabantenstadtsiedlungen benutzt. Diese Idee war allerdings auch schon im Programm des ‚Grenelle de l'environnement', des mit viel Pomp und Getöse begleitetet vorjährigen Umweltgipfels, enthalten gewesen. Zudem sind die dafür nun angesetzten 500 Millionen ein Tropfen auf den heißen Stein. Allein der seit längerem angekündigte und dringend benötigte Bau einer Straßenbahn für die Anbindung der Hochhaussiedlungen von Clichy-sous-Bois (einer Trabantenstadt, die keinerlei Schienenanschluss besitzt) und Montfermeil an das Netz des RER – einer Art S-Bahn im Großraum Paris wird 150 bis 200 Millionen Euro kosten.
"Krieg ohne Gnade gegen die Dealer"
Konkrete Ankündigungen enthält Sarkozys Programmrede ansonsten vor allem zum Thema "mehr Polizei". So kündigte das Staatsoberhaupt an, 4.000 zusätzliche Polizisten für die Trabantenstädte zur Verfügung zu stellen – etwa, indem Polizeibeamte von Schreibtätigkeiten und ähnlichen Arbeiten entbunden und damit für den "Einsatz auf dem Terrain" frei werden. Und er stellte in Aussicht, einen "Krieg ohne Gnade gegen die Dealer" zu führen, was allerdings in seinem Munde nicht neu ist, da er ähnliche Töne auch bei seinem Amtsantritt als Innenminister im Juni 2002 auf den Lippen führte.
In Wirklichkeit hüteten sich die Polizeikräfte aber, die "Parallelökonomie" (etwa im Bereich des Haschischhandels und –konsums) vollständig zu zerschlagen: Da sie wissen, dass für manche Familien die einzige reale Quelle ihres Lebensunterhalts daran hängt und ihnen aufgrund des Fehlens von Arbeitsplätzen in den sozialen Krisenzonen so schnell keine Alternative winkt, sehen sie andernfalls eine "soziale Explosion" vor. Dies geht aus internen Dokumenten der Polizeiführung, die etwa während der Unruhen vom Herbst 2005 im ‚Canard enchaîné' publiziert wurden, offen hervor.
Nicolas Sarkozy schlägt nun wieder kriegerisch klingende Töne an. Allerdings scheinen sie im Konkreten nicht ganz so eskalationsträchtig zu sein, wie sie zunächst wirken. Denn die 4.000 zusätzlich bereit stehenden Beamten sollen auf die neu zu schaffenden ‚Unités territoriales de quartier' (Territoriale Einheiten in den Armutsvierteln) verteilt werden, die alsbald – in einer Anzahl von 200 – gegründet werden sollen, wie Sarkozy bestätigte. Damit griff er nur eine Ankündigung von Innenministerin Michèle Aliot-Marie vom Januar dieses Jahres auf.
Anwohnernahe Polizei
In der Sache handelt es sich darum ein altes Projekt wiederzubeleben: lokal angesiedelte Polizeieinheiten, die innerhalb der Krisenzonen der Trabantenstädte angesiedelt werden. Dies hatte zuletzt die sozialdemokratisch geführte Regierung in den Jahren 1997 bis 2002 unter dem Namen ‚Police de proximinité', ungefähr: "anwohnernahe Polizei", unternommen. Auf diesem Wege sollte eine Deseskalation im polizeilichen Auftreten herbei geführt werden: Bis dahin war das Erscheinungsbild der Polizei in den Banlieues von militarisierten, ortsfremden Einheiten geprägt gewesen, die die lokalen Verhältnisse nicht kennen, bestimmte "Krisenzonen" nur zu Strafexpeditionen betreten und sich dort wie in (zeitweilig erobertem) Feindesland aufführen.
Oft trägt dabei zusätzlich zum Aufbau von Spannungen bei, dass besonders junge, unerfahrene Beamte dort zum Einsatz kommen, denen das Image "der Banlieues" selbst erhebliche Furcht einflößt und die sich nur umso aggressiver benehmen. Um dem ein Ende zu setzen, hatte die sozialdemokratische Regierung kleine, dezentrale Einheiten geschaffen, deren Beamte auch tagsüber in ihren Büros innerhalb der Trabantenstädten ansprechbar sein und die so ein minimales Vertrauensverhältnis zu den Einwohnern aufbauen sollen.
Die Rechtsregierungen ab 2002 hatten diese Politik jedoch beendet und eine Rückkehr zu einem "Rambo-Auftreten" der Polizei betrieben. Das minderte zunächst scheinbar die Kriminalitätsrate in den Banlieues, da – aufgrund wachsender räumlicher Entfernung zwischen Polizeikommissariaten und Einwohnern und/oder verringerter Öffnungszeiten für den Publikumsverkehr – weniger Straftaten zur Anzeige gebracht wurden. Die Lage für die Bürger vor Ort verbesserte sich zwar nicht, wohl aber schien die Autorität des Staates besser da zu stehen. Denn, so der damalige Innenminister Sarkozy, in der vorherigen Phase hätten Polizisten "allzu oft Sozialarbeiter gespielt, das ist nicht ihre Aufgabe".
Diese scheinbare deutliche Verbesserung der Kriminalitätsstatistiken war eine der wichtigen Ursachen für den Publikumserfolg des, "hart durchgreifenden", Innenministers Sarkozy. Aber das Vorgehen insgesamt war höchst eskalationsträchtig, wie sich bei den Unruhen 2005 zeigte, nachdem zahlreiche Deseskaltions- und Vermittlungsmöglichkeiten zwischen Staatsgewalt und Einwohnern zerstört worden waren. Nunmehr kehrt mit den neuen ‚Unités territoriales de quartier' auch die Rechtsregierung stillschweigend zu Konzepten zurück, die denen der "anwohnernahen Polizei" aus dem vergangenen Jahrzehnt doch sehr ähneln. Auch wenn der Strategiewechsel nicht beim Namen genannt wird.
Ansonsten setzt Präsident Sarkozy vor allem darauf, neben der öffentlichen Hand hätten auch "die Unternehmen" eine Rolle zu spielen, indem sie verstärkt in ‚den Quartiers' investieren, Ausbildungs- und Arbeitsplätze anbieten. Die Arbeitslosigkeit dort beträgt im Durchschnitt 22 Prozent, jene der Jugend aber 40 Prozent. Eine wichtige Rolle, neben der räumlichen "Abkapselung" vieler schlecht ans Verkehrsnetz angebundener Sozialghettos, spielt dabei auch die "flagrante Diskriminierung" auf dem Arbeitsmarkt, die sich oft an einer Kombination aus (unterstellter) "ethnischer Herkunft" und "verrufener" Wohnadresse festmacht.
Das Erlernen von "sozialen Codes"
Auf "Eingliederung in den Arbeitsmarkt" spezialisierte Privatunternehmen, so Sarkozy, sollen nun verstärkt in den Banlieues tätig werden und den Jugendlichen und jungen Erwachsenen die "sozialen Codes" beibringen, deren Beherrschung nötig sei, um bei Einstellungsgesprächen erfolgreich zu sein. Zudem sollen Schulabbrecher durch die Eröffnung von Internaten und eine verstärkte Ansiedlung von Privatschulen eine "zweite schulische Chance" geboten bekommen. Alles in allem erhofft sich Sarkozy auf diesem Wege, und insbesondere durch eine Stärkung der Privatinitiative, die "Schaffung von 100.000 Arbeitsplätzen binnen fünf Jahren" für Bewohner der Sozialghettos in den Trabantenstädten. Die Erfolgsaussichten bleiben abzuwarten.