Du hattest ja lange Zeit diesen skandinavisch-naiv-freundlichen Nimbus: deine Produkte waren zwar aus Spanplatte, aber dafür bunt lackiert, Deine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen waren freundlich und haben das Duzen in Deutschland salonfähig gemacht. Es gab Billy, Köttbullar mit echten Kartoffeln und ein Bällebad für die Kleinen.
All das gibt es heute auch noch, allerdings in veränderter Form – inzwischen kommen die Möbel aus chinesischen Knästen, die Textilien aus Sweatshops im nahen und fernen Osten, und zu den Köttbullar gibt es Kartoffelpampe aus der Tüte. Und freundlich sind die Menschen, die bei Dir arbeiten, inzwischen auch nicht mehr.
Gestern war ich bei Ikea Kiel, um ein paar Dinge fürs Büro zu kaufen, und meine Holde war auch dabei: ein paar Kleinigkeiten für das Ferienhaus sollten es ein. Und so stromerten wie mit leidlich vollen Wägelchen gemeinsam zur Kasse. Während ich mit der Business-Karte bezahlen wollte und folglich die Expresslane (als die Selbstbedienungskasse) wählte, bevorzugte die Dame meines Herzens Barzahlung und reihte sich an der anderen Kasse ein. Natürlich war ich schneller …;-)
Und so kam es wie es kommen musste: ich schon meinen bezahlten Warenkorb zu dem Kassenbereich, an der die Liebste bald bezahlen würde. Das dauerte ein wenig, weil die Kassiererin ein wenig damit überfordert war, das die Bezahlung mit Geld, einem Gutschein und der Family-Karte zwecks Transport-Versicherung erfolgen sollte. Wartend stand ich hinter der Kassenabsperrung und drömelte ein wenig vor mich hin, beugte mich zur Liebsten, um einen abendlichen Kuss auf die Wange zu verteilen, bis ein knapper Satz der Kassiererin dem Abend eine unerwartete Wendung gab:
Kommen Sie mal mit dem Wagen her, damit ich das scannen kann.“
Das verblüffte mich dann doch ein wenig. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich das verstanden hatte. Wollte die meinen Einkauf scannen? Da hatte ich mich doch sicher verhört. Doch es war kein Irrtum, ich hörte es noch einmal.
Kommen Sie mal mit dem Wagen her, damit ich das scannen kann.“
Wie bitte?“
Ich möchte die Waren in Ihrem Wagen auch noch scannen.“
Warum?“
Weil Sie die bezahlen müssen!“
Es dauerte ein wenig, bis ich begriff. Um es kurz zu sagen: ich begriff es erst einmal nicht. Also fragte ich nach.
Warum sollte ich das bei Ihnen bezahlen wollen?“
Die Kassiererin wurde massiver.
Weil Sie die bezahlen müssen!“
Ich kam ins Nachdenken. Was wollte dieses blaue Etwas von mir? Hatte ich das richtig verstanden? Ich sollte meinen Einkauf, fein säuberlich in einem Einkaufswagen aufgestapelt, hinter der Kassenzone (also auf der sicheren Seite) stehend, jetzt zum zweiten mal bezahlen? Dachte die etwa, ich hätte fliegende Einkaufswagen erfunden, die mit einem dahingeschnippten ‚Wingardium Leviosa‘ über die Gitterbarriere schwebten, die den Kassengang extrem verengten? War die blöde?
Ähhhhh … das ist mein Einkauf, und der ist bereits bezahlt. Ich sehe auch nicht, wie ich den bei 70 cm Kassengang-Breite mit meinem Einkaufswagen an Ihnen hätte vorbeischmuggeln können …“
Wenn ich dachte, damit wäre das klar, dann hatte ich mich geschnitten. Das blaue Monster wurde nun laut und meinte, klauen wäre hier nicht. Ich solle auf der Stelle meine Artikel zu Ihrer Kasse befördern.
Nun gut, dachte ich. Was Du kannst, das kann ich auch. Blöke ich mal zurück.
Wollen Sie damit sagen, dass Sie der Meinung sind, ich hätte IKEA beklaut? Und sagen Sie das, weil Sie hier anscheinend den Überblick verloren haben?“
Ja!“
Das überraschte mich nun wirklich. Ich bin eine, die noch nicht einmal ihr Auto ins Halteverbot stellt, die im Leben noch nicht gelogen und gewiss nichts geklaut hat (noch nicht mal damals, als es Napster gab). Also mal gegenhalten.
Das ist ja wohl vollkommen Quatsch. Sie haben hier keine Peilung, und drum behaupten Sie sowas einfach mal. Nix da, Sie scannen hier gar nix von meinen Sachen ein.“
Ich fühlte mich sehr sicher. Ich genoss es, zu sehen, wie dieses blaue Etwas zusehends die Fassung verlor, und ich genoss es auch, zu sehen, wie die Schlange vor besagter Kasse länger und länger wurde. Manchmal ist es schön, eine Bühne zu haben. Das blaue Etwas pampte weiter vor sich hin und fragte schließlich, wo ich denn bezahlt hätte. Lässig deutete ich auf den Bereich der Expresskassen. Dann wurde es fies.
Dann geben Sie mir sofort Ihren Kassenzettel.“
Da hatte mich das blaue Etwas auf dem falschen Fuß erwischt. Heja, ich und Zettel, da treffen drei Universen aufeinander: Das Papier, ich, und das, was dazwischen liegt. Natürlich nehme ich Kassenzettel immer mit, aber allein zu dem Zweck, um sie in irgendeine Hosen, Jacken-, Mantel- oder Handtasche zu stopfen und niemals wiederzusehen. Und so was das auch an diesem Abend. Ich ging, bereit dem Spektakel ein friedliches Ende zu bereiten, mit den Fingern alle Taschen durch (Cargohosen sind eine blöde Idee, und vollgekramte Handtaschen mit Schlüsselbünden, iPads, Lippenstiften, Tempotaschentüchern, Geldbörsen, Cremetübchen, Taschenmessern, Feuerzeugen, Ladekabeln, Kreditkarten, Zuckerstückchen, mehreren Mobiltelefonen, Bleistiften und Kugelschreibern, Zigarettenschachteln und sonstigem Gedöns sind es auch) und fand: nichts. Naja, nicht so schlimm, ich hatte ja vorhin mit der Aufsicht an der Selbstbedienungskasse ein Schwätzchen gehalten – die würde sich ja erinnern. Aber ich erinnerte mich nicht, an welcher der Selbstbedienungskassen ich gewesen war. Hmmm, irgendwo dahinten.
Was jetzt kam heißt im Fachjargon wohl ‚eskalieren‘ und bedeutet: jetzt holen wir mal die Geschäftsführung. Die kam dann auch und versuchte, die beteiligte Expresskassenaufsicht ausfindig zu machen – was irgendwann auch gelang und alles klärte. Ja, klar, alles bezahlt.
Wenn ich jetzt aber die Erwartung hatte, zum Trost für diese vollkommen blöde Aktion, eine Kundin, die klar erkennbar hinter der Kassenzone auf jemand anderes wartet, mal eben ohne Sinn und Verstand vor laufendem Publikum des Diebstahls zu bezichtigen und dabei laut und pampig aufzutreten wenigstens die Worte „Entschuldigung, das tut uns jetzt sehr leid“ zu hören, dann hatte ich mich getäuscht.
Nix. Niente. Nada. Rien.
Ich glaube nicht, dass man sich das als Kundin gefallen lassen muss. So ruiniert man Kundenbeziehungen nachhaltig.
„Ciao, IKEA!“ kann man da nur sagen. Liebes IKEA, backt Euch ein Eis auf Euren Krimskrams, Eure Pappmöbel und Euer Kartoffelpüree aus der Tüte. In Zukunft ohne mich.