Dass die (Musik-)Medienindustrie darniederliegt, weil sie keine CDs mehr an den Mann (oder die Frau) bringen kann, das pfeifen nicht nur die Spatzen von den Dächern. Die Presse ist voll von den Meldungen, in denen Sony, Warner & Consorten darüber jammern, dass die bösen PiratInnen ihnen die Musik klauen. Und eines stimmt ja: Schaut die moderne Internautin mal die Tauschbörsen an, dann stellt sie fest, dass dort Mainstream-Musik zuhauf in Torrents verlinkt ist. Mit der Forderung, diese Copyrightverletzungen im großen Stil zu unterbinden gehe ich konform. Allerdings sind neue Modelle gefragt – aber die Industrie (sorry für dieses undifferenzierende Wort) scheint da recht einfallslos zu sein. …

Search and destroy, eine Politik der verbrannten Erde ist bisher das Einzige, was den Musikkonzernen einzufallen scheint. Also werden jugendliche Filesharer von darauf spezialisierten Anwaltskanzleien in Massen abgemahnt, wenn sie nur dumm genug sind, ohne die Mithilfe von Proxieservern oder den Tool PeerGuardian ihre Fetenhits kostenfrei zu tauschen, und in Frankreich wird mit dem Hadopi-Gesetz damit gedroht, illegale Downloader digital in Acht und Bann zu legen und überhaupt alle bösen Seiten zu löschen (bzw. löschen zu lassen).

Wo man gerade schon mal dabeit ist wird der jeweilige Staat als Handlanger eingespannt, um den gesetzlichen Rahmen für Zensur zu schaffen. Nützen wird das nichts, im Gegenteil. Und die Kinderpornografen-Karawane, mit der man die Datensammlung rechtfertigte, derer sich die Content-Industrie bedient, ist sowieso schon lange weitergezogen.

Die moderne Internautin will hier gar nicht über die rechtlichen Aspekte solchen Treibens philosophieren, denn das tun bereits andere. Ihr geht es um den kulturellen Aspekt, um Vielfalt, die da verhindert wird, indem sich die Großen der Musikbranche den Ast absitzen, auf dem sie sitzen.

Letztlich geht es um die Industrialisierung von Kultur und die Folgen, mit denen wir uns auseinander zu setzen haben, um den Verlust von Vielfalt und um die Schaffung von Alternativen jenseits der Durchkommerzialisierung. Und ein ganz klein wenig darum, welche Chancen eine Branche sehen könnte, wenn sie denn nur wollte.

Die moderne Internautin geht dabei von einem sehr persönlichen Standpunkt aus, denn für sie gehört Musik – neben Literatur und Kunst – zu den essentiellen Lebensmitteln. Zu gerne erinnert sie sich an die Stunden zurück, in denen sie als kleines Kind vor Mamas Plattenspieler hockte und stundenlang ‚I Want To Hold Your Hand‚ von den ‚Beatles‚ abnudelte, an die Zeiten pubertärer Freundschaften, in denen zum ganz großen Glück eine als Beweis ewiger Liebe geschenkte Musik-Cassette gehörte und an die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, in denen sie schwarze Scheiben, in die Rillen geprägt waren, zuhauf sammelte (und schon damals über ‚Hometaping is killing Music‚ leise lächelte).

Die moderne Internautin gehörte schon damals zu denen, die einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens in Schallplattenläden verprasste – und die Labels konnten nie über ihr Konsumverhalten meckern, solange sie die Droge auch in etwas abseitigeren Varianten liefern konnte. Was sie damals problemlos machte – es gab etliche Biotope spezialisierter Labels, es gab den legendären Teldec-Import-Service und einige andere mehr.

Dann kam die CD, und die moderne Internautin kaufte. Und sie kaufte manches noch einmal, weil es halt besser klang, und überhaupt. Sie fand die Preise für die kleinen Silberscheiben zwar – mit Verlaub gesagt – gediegen angesichts der Tatsache, dass die fipsigen Dinger ja in der Herstellung viel preiswerter seien als die ‚großen Schwarzen‘, aber nunja, so war das eben.

Inzwischen – im Jahre 2010 – ist vieles passiert: zum einem sorgte die moderne Internautin dafür, dass auch ihre Familie und die Lieben angefixt wurden (ich vergesse es nie, mit meinem kleinen Sohn im Tragetuch laut die ‚Stones‘ und britischen Indie-Post-Punk-Rock zu hören, dabei zu tanzen und sein glucksen zu hören – die Vorliebe für Mick Jagger & Consorten hat sich bei ihm dann gehalten) – zum anderen zogen neue Gerätschaften wie Computer und iPod in ihr Leben ein und wollten befüllt werden. Und dann veränderte sich die Content-Industrie doch sehr: zum Nachteil, zu einem Oligopol von Medienkonzernen, und die Vielfalt verschwand weitgehend, inklusive der Plattenläden vor Ort, die auch dem Einheitsbrei weichen mussten.

Den Hunger nach Vielfalt zu stillen entdeckte die moderne Internautin eines Tages die wundervolle Welt von Rapidshare, Megaupload und anderen. Da gab es sie, die abseitigen Dinge, Veröffentlichungen auf kleinen Labels, längst vergessene Schätze aus der Langspielplatten-Zeit, die nie als CD remastert und veröffentlicht wurden (oder wenn dann nur in Kleinstauflage vor 20 Jahren). Ein wundervoller Platz zum stöbern und entdecken, reinhören und letztendlich auch ‚auf den Einkaufszettel setzen‘. Es ist ja nciht alles schlecht im dritten Jahrtausend, es gibt ja Amazon weltweit.

Die Informationen über dieses Abenteuerland flossen über vielfältigste Blogs, in denen andere Fans sich austauschen, selbstgeripptes als FLAC-, OGG– oder (suboptimal) als MP3-Dateien anboten. Ist schon speziell, was captaincrawl.com so ausspukt. Ich mag es nicht nachzählen, wieviele Musik-CDs ich in den vergangenen Jahren aus fernen Ländern bestellt und durch den Zoll gebracht habe – dort kennen sie mich jedenfalls mit vollem Namen, wissen schon, was in den kleinen Paketen drin ist, und wenn es gut läuft, dann hält man ein Schwätzchen über französischen Hip-Hop, japanischen Underground-Metal oder brasilianischen Ethno-Pop. Wow, ich liebe es.

Und irgendwann entdeckte auch die Industrie diesen Sumpf der Blogs, der Links, der Rapidschare-Downloads und begann, ihn unsystematisch auszutrocknen. Links zu Musikdateien wurden als illegal reklamiert und zur Löschung freigegeben – ganz egal, ob sie es nun auch waren. Und der Nachschub der modernen Internautin begann, zusehends spärlicher zu fließen. Letzte Woche schloß ihr Lieblingsblog die Pforten, das vorwiegend auf archäologische Funde aus der Epoche das 70s-Art-Rock spezialisiert war und auch dem kanadischen Hip-Hop nicht abgeneigt war. Schade.

Was jetzt kommen wird scheint absehbar: Zum ersten Mal in ihrem Leben wird die moderne Internautin keine neuen CDs mehr kaufen, weil sie diese nicht mehr kennenlernen wird. Wie schade für die Künstlerinnen und Künstler, die keine Tomnträger mehr ins alte Europe schicken werdden, wie schade für die kleinen, lokalen Labels, wie schade für die Bildung und den Horizont.

Und zum ersten mal in ihrem Leben denkt die moderne Internautin über so etwas wie ‚Ungehorsam‘ nach, denn die Perspektive, fortan nur noch auf den von Mareting-Spezialisten in die Läden gedrückten Einheitsgeschmack-CDs angewiesen zu sein bedrückt sie doch sehr.

Sollte es eine Alternative sein, dem ein entschlossenes ‚Jetzt puste ich mal meine komplette Musiksammlung auf einen Server in der kasachischen Steppe‘ entgegen zu setzen? Oder mal an die Damen und Herren in den Medienfirmen zu schreiben und ‚Was soll das? Seid Ihr blöde?‘ zu fragen? Oder dazu aufzurufen, nur noch Musik von Künstlerinnen und Künstlern zu kaufen, die ihre Werke unter eine Creative Commons-Lizenz stellen – auf das man ausprobieren und reinhören (jenseits der 30-Sekunden-Schnipsel) kann und anwarten, ob die entsprechende Musik zu einem treuen Begleiter wird? Nein, das wohl nicht – die Brötchen beim Bäcker bezahle ich ja auch, bevor ich reingebissen habe.

Aber vielleicht ist es ja an der Zeit für ganz neue Modelle – jenseits der Konzerne. Selbstmarketing, kreativer Austausch, bewahren der kulturellen Vielfalt – es wäre eine Erwartung an die Politik, es sich nicht bieten zu lassen, von der Industrie als Büttel benutzt zu werden, sondern zu gestalten. In der Diskussion um die Integration von Migrantinnen und Migranten habe ich oft genug das Wort von der ‚Wertegemeinschaft‘ gehört – ist denn nciht Musik ein Teil dieser Werte? Und wenn es so ist, gehört dann nciht die Gestaltung eines modernen UrheberInnen-Rechts genauso zu den Aufgaben der Politik wie die Einführung neuer Modelle wie beispielsweise einer Kultur-Grundgebühr? Mit dem Fernsehen geht das doch auch.

Meine Güte, ist denn das so schwierig zu verstehen? Wir sind doch kein Volk von prädisponierten Musikdieben – aber wir wollen Vielfalt, die wir so (in absehbarer Zeit) nicht bekommen werden. Anstatt zu kriminalisieren stände es doch wohl an, neue, gemeinschaftsbezogene Modelle zu entwickeln und auch durchzusetzen.

Aber vielleicht erwarte ich einfach zu viel.