Ein Kernthema der Arbeit am Landesaktionsplan gegen Homophobie in Schleswig-Holstein sollte die Bildungsarbeit werden. Es ist nicht nur aus meiner Sicht wichtig, in einer Gesellschaft vorhandenen Vorurteilen, Diskriminierungen und Haß möglichst entschlossen und frühzeitig zu begegnen. Nach allem, was man dazu lesen konnte, ist Bildung dabei ein zentraler Schlüssel, und es braucht Wissen und Konzepte, um bereits in den Schulen die Grundlagen für Respekt und Akzeptanz zu legen.

Der Blick in andere Bundesländer macht dabei deutlich, wie wichtig grundsolide Arbeit dabei ist, die auch andere gesellschaftliche Gruppen im Blick behält. In Baden-Württemberg hat sich beispielsweise eine breite Allianz aus Fundamentalkatholiken, Familienschützern und Evangelikalen gebildet und für heftige Wellen gesorgt. Mehr als 100.000 Menschen haben sich dabei gegen die Behandlung schwul-lesbischer Themen in den Schulen ausgesprochen. Gleichzeitig erlebte Deutschland zu Anfang des Jahres politische Wirren, die von rechten Pegida-Anhänger_innen verursacht wurden und grundsätzlich die Frage aufwerfen, wie viel Akzeptanz für Anderes in Deutschland möglich ist.

In diesem Kontext bewegt man sich also, wenn man Vielfalt in die Schulen bringen möchte. Keine dieser Bewegungen schätze ich persönlich – aber man muss sie zumindest gedanklich berücksichtigen, wenn man ihnen keine Steilvorlagen geben will. Das möchte ja niemand.

Also ist es nötig, bei der Erstellung einer Arbeitseinheit für Schulen qualifiziert, sachgerecht und vielseitig zu arbeiten. Vielseitigkeit schließt aus meiner persönlichen Sicht ein Familien- und Menschenbild ein, dass alle teilhaben lässt. Die Vater-Mutter-Kind-Familie, das Lesbenpaar mit Kind, die schwulen Väter und Transgender-Eltern. Alles ist Liebe, alles ist Familie, und nichts davon ist besser oder schlechter.

Es könnte so einfach sein, wenn man sich ein paar Gedanken macht. Es könnte Schulmaterialien geben, die niemanden ausgrenzen und den Raum für breite Akzeptanz aller Formen des Zusammenlebens bereiten. Man könnte wirklich etwas bewegen.

Man kann es aber auch ganz anders machen, und das ist im Rahmen des Landesaktionsplans „Echte Vielfalt“ leider passiert. Weil die falschen Prämissen getroffen wurden, die falschen Prioritäten gesetzt wurden und die falschen Personen und Institutionen mit einbezogen wurden: Ein Verband, der keine Ahnung von praktischer Arbeit hat, und eine Beratungsstelle, die sich bisher mit Anti-Gewalt-Arbeit beschäftigte und aus den Augen verloren hat, dass es hier um gesellschaftlichen Wandel geht.

Die Ergebnisse der Arbeit von Petze und LSVD Schleswig-Holstein sind auch jetzt, im März 2015, noch nicht öffentlich, und dafür gibt es vermutlich Gründe. Öffentlich sind einzig Fragmente von  Vorabversionen einer Arbeitseinheit für Grundschulen, und öffentlich ist bereits jetzt die gesellschaftliche Debatte darum. Alleine schon das ist ein dickes Ding, denn Landeshaushalte funktionieren eigentlich nach dem Kalenderjahr.

Wenn ein Träger im Jahr 2014 Geld für eine Aufgabe bekommt, dann hat er sie auch im Jahr 2014 auszuführen. Das ist meistens sinnvoll, denn nur so kann man definierte Ziele in definierten Zeiträumen mit definierten Mitteln erreichen. Und vor allem: es ist geltendes Haushaltsrecht. Ein Träger kann nicht einfach Geld ansparen und in einem anderen Jahr verwenden, denn das Land gibt die Mittel, und es zahlt Zinsen dafür. Geld, das nicht ausgegeben wird, ist daher auf dem Bankkonto eines Träger nicht gut aufgehoben, denn der Träger bekommt vielleicht ein paar wenige Prozent Zinsen, das Land zahlt dafür aber mit Sicherheit mehr. Wir alle zahlen das, es ist unser Geld.

Bemerkenswert waren dann Anfang 2015 zwei Dinge: Zum einen die Abwesenheit der bis Ende 2014 zu erstellenden Arbeitseinheit, zum anderen eine Berichterstattung über zumindest fragwürdige Inhalte der geplanten Arbeitshilfe in der schleswig-holsteinischen Presse und darüber hinaus. Es gab zu diesem Zeitpunkt, vermutlich seit November 2014, eine Vorabversion der durch die Petze erstellten Arbeitseinheit, die auf unbekannten Wegen zu so genannten ‚Besorgten Eltern‘ fand, dort drastisch kommentiert wurde und dann auch in der Landeszeitung, den Kieler Nachrichten und auch anderswo zerpflückt wurde.

Die Titelseite des "Methodenschatz", der sich ausdrücklich mit Lebens- und Liebesweisen beschäftigen möchte

Die Titelseite des „Methodenschatz“, der sich ausdrücklich mit Lebens- und Liebesweisen beschäftigen möchte

Das ist schon einmalig – denn so eine Vorabversion kommt dann entweder direkt von den Erstellern an die Öffentlichkeit oder von denjenigen, die letztlich ‚Grünes Licht‘ zur Veröffentlichung geben müssen und die im Kieler Sozial- und / oder Bildungsministerium zu finden sind. Entweder ein Träger wie das Petze-Institut ist sehr überzeugt von der eigenen Arbeit, oder jemandem in den beteiligten Ministerien ist sehr, sehr unwohl, anders ist das nicht zu erklären. In keinem Fall ist das ein gutes Vorzeichen.

Ich persönlich vermute das Leck in der Landesverwaltung (aber das ist nur eine These), und ich vermute, dass dort, wo es ja häufiger um die Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse geht, jemand wirkliche Bauchschmerzen bekommen hat. Warum ist das dann aber nicht direkt mit dem LSVD und dem Petze-Institut geklärt worden? Ist es so schwierig, einen direkten Austausch zu suchen und kurzfristig Lösungen zu finden? Oder schätzt man das – angesichts der personellen Verquickungen zwischen LSVD-Landesverband und der SPD-Fraktion als eher aussichtslos ein? Auch wenn ich das persönlich nicht weiß und nur Hintergrundinformationen aus dem LSVD-Landesvorstand (von einem inzwischen ausgeschiedenen Vorstandsmitglied) habe, der bekundete, dass die Gespräche mit der Abteilung im Sozialministerium stets anstrengend waren: Das ist jedenfalls ein starkes Indiz dafür.

So kommt es jetzt allerdings wie es kommen muss: Nicht nur die Evangelikalen (deren Verlinkung ich mir und uns an dieser Stelle erspare) greifen das Thema gerne auf, auch die Kieler Nachrichten widmen dem Papier einen ausführlichen Artikel samt Kommentar. Die darin geäußerten Thesen sind aus meiner Sicht konservativ geprägt aber trotzdem diskutabel. Reflexhaftes Schlagen auf die Trommel der „reaktionären Lokalpresse“ hilft nicht weiter. So unrecht hat Kommentator Ulf B. Christen nämlich leider nicht wenn er schreibt

 In dem Lehrmaterial wird der Eindruck erweckt, als sei eine wie auch immer geartete Regenbogenfamilie die Regel.“

Und damit hat er nicht nur Recht – im Grunde genommen beschreibt der Kommentar schon, weshalb es ein Fehler war, das Petze-Institut mit der Erstellung zu beauftragen. Denn das Petze-Institut, deren Geschäftsführerin Ursula Schele ist, hatte bisher einen vollkommen anderen inhaltlichen Schwerpunkt. In der Selbstdarstellung liest sich das so:

Das PETZE Institut für Gewaltprävention (…) arbeitet im Bereich der Prävention von sexualisierter Gewalt und sexuellem Missbrauch und für die Verbesserung des Schutzes von Mädchen und Jungen. [Es] entwickelt Informationsmaterialien für Schüler und Schülerinnen aller Altersstufen und macht durch Aktivitäten wie Ausstellungen, Theaterprojekte und Tagungen immer wieder auf das Problem des sexuellen Missbrauchs aufmerksam.

Das ist nichts schlechtes. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche geht gar nicht, und darüber herrscht gesellschaftlicher Konsens, der sich auch immer dann beobachten lässt, wenn der Kampf gegen Kinderpornografie und sexuelle Ausbeutung von der Politik in der Debatte zur Vorratsdatenspeicherung instrumentalisiert wird.

Der Unterschied zum Thema „Akzeptanz für Lesben und Schwule“ ist allerdings, dass hier der Konsens erst geschaffen werden muss. Kein Mensch in diesem Land spricht sich für Gewalt und sexuelle Übergriffigkeit gegenüber Kindern aus, aber Homophobie ist leider noch ubiquitär. Eine Übertragung von Anti-Gewalt-Konzepten auf aktive Gleichstellungspolitik unter dem Regenbogen ist also weder möglich noch sinnvoll, denn gesellschaftlichen Konsens muss man an dieser Stelle erst noch schaffen. Akzeptanz für gleichgeschlechtliche Lebensweisen muss erst noch erarbeitet werden, und das ist doch gerade die Aufgabe des Projektes Landesaktionsplan (und die Begründung, es überhaupt zu fördern).

Ich will Menschen für Akteptanz gewinnen, aber das schaffe ich doch nicht, indem ich ihnen einen Lebensentwurf als den einzig vorhandenen vorstelle. Wenn ich Vielfalt zeigen möchte, dann bitte auch die ganze Vielfalt, zu der heterozentrierte Familienmodelle dazugehören. Ausgrenzung war noch nie etwas, das Gesellschaften positiv voran gebracht hat.

Und das ist ein weiterer Fehler dieser Kampagne, dieser Materialien: man geht von etwas aus, weiß aber nichts darüber, und dann macht man das, was man in solchen Fällen halt immer macht. Man schaut auf den eigenen Bauchnabel und redet darüber.

Mehr dazu in den nächsten Posts.