Im letzten Posting hatte ich einen kurzen Blick in den Entwurf der Arbeitshilfe für Lehrer_innen gewagt, die mit dem Titel „Echte Vielfalt unter dem Regenbogen“ für mehr Vielfalt in Schulen und in den Köpfen von Schulkindern sorgen soll. Nein, diese Arbeitshilfe ist immer noch nicht erschienen, und das ist schade. Und es ist klar: ein Entwurf ist vorläufig, die Arbeit daran ist ‚Work in progress‘. Und schließlich möchte man nicht über die Endversion spekulieren, denn der Entwurf wurde von der Landesverwaltung zurückgewiesen.

Das ist erst einmal eine gute Nachricht.

Was bisher (ungewollt) veröffentlicht wurde reicht allerdings schon, um weitere Fragen zu stellen. Ich kenne die Materialien der Petze ganz gut: Ich bin (unter anderem) gelernte Sozialpädagogin und Sozialtherapeutin, habe im Grundschulbereich gearbeitet und habe den Weg der Petze und des Petze-Instituts lange wohlwollend begleitet. Entstanden ist diese Arbeit aus dem Bedürfnis heraus, parteilich für Mädchen und Frauen zu arbeiten und Lebensräume zu gestalten, die frei von Gewalt und voll mit Perspektiven sind. Das ist ein wichtiges Thema, und die Materialien dazu waren mir stets wertvoll. Gerade in der Grundschule waren die Materialien eine große Hilfe, und das betone ich gerne.

So kommt auch der Methodenschatz Vielfalt in gewohnter Ausstattung daher: es finden sich Lückentexte, Spiele, Rätsel, Malvorlagen und ein Lied. Nichts spektakuläres, und auch beim Lesen reaktionärer Blogs aus der Familienschutz-Ecke hatte ich nicht erwartet, eingeklebte Kondome vorzufinden. Auf den ersten Blick schaut die Arbeitshilfe also verwendbar aus.

Der zweite Blick jedoch geht auf die Texte, und das war ja schon der konservativ-radikalen Fraktion unangenehm aufgestoßen.

Hin und wieder gibt es einen Papa und eine Mama.“

Ein Satz mit Sprengkraft, und er ist so banal wie falsch. Er findet sich im einleitenden Diktat für einen Lückentext, und er stellt die heterosexuelle Normalfamilie (an dieser Stelle benutze ich das einfach mal und meine das, was bisher immer in Unterrichtsmaterialien abgebildet war und gemeinhin als „Vater-Mutter-Kind-Familie“ angesehen wird – und an dieser Stelle möchte ich über die Wortwahl nicht diskutieren) in eine Reihe mit ganz vielen anderen Familienmodellen. Genannt werden

  • Alleinerziehende Familien mit nur einem Elternteil
  • Stiefelternfamilien
  • Mehrgenerationenfamilien
  • Pflegefamilien
  • Familien mit zwei lesbischen Müttern
  • Familien mit zwei schwulen Vätern
  • Familien mit Elternteilen, die eine Transgender-Biografie haben

Summiert man das einmal auf, dann steht es jetzt 1:7 für die nicht-heteronormativen Familienmodelle. Und das geht – wie ich es auch drehen, wenden oder wünschen mag – an der Wirklichkeit ein paar Lichtjahre vorbei. Um wie viele Lichtjahre, das ist gar nicht so einfach zu sagen, denn die Statistiken dazu sind dünn. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat im Jahr 2012 beispielsweise versucht, die verschiedenen Lebensformen in einer Grafik abzubilden und dazu Daten aus dem Mikrozensus 2011 benutzt.

bpb-lebensformen-2012

Statistiken sind spannend, vor allem, wenn sie so schön aufbereitet sind. Quellen sind das Statistisches Bundesamt (Mikrozensus 2011) sowie die Bundeszentrale für Politische Bildung.

 

 

Knappe 50% alle Menschen in Deutschland leben danach innerhalb einer Familie, die sich durch das Vorhandensein von mindestens einem Kind und einem Elternteil definiert. Insgesamt gab es 2011 dabei 19 Millionen Kinder und 20,7 Millionen Elternteile. Dabei lebten ca. 14 Millionen in Familien mit Ehepaaren als Eltern, 1.2 Millionen in Familien mit Lebensgemeinschaften als Eltern (bei denen nicht nach hetero-, homo- oder transsexuell unterschieden wird) und schließlich 3.7 Millionen in alleinerziehenden Familien. Das ist also eine recht eindeutige Sache, auch wenn mich persönlich der Anteil in Familien mit Eltern, die verpartnert sind sicher interessiert hätte.

Für Schleswig-Holstein gibt es ebenfalls Zahlen aus dem Mikrozensus – danach lebten im Jahr 2011 157 Kinder in Familien mit eingetragener Lebenspartnerschaft (davon ganze sieben mit männlichen Elternpaaren) und weitere 35 bei Alleinerziehenden, bei den die Partner_innen nicht oder nicht mehr zusammenwohnten. Und als bei einer Gesamtzahl von knappen 540.000 Kindern und Jugendlichen im Land.

Fakt ist: auch wenn es uns noch so tradiert und überkommen vorkommt hat das „Vater-Mutter-Kind“-Familienmodell  einen Anteil von über 70 %.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein suggeriertes Verhältnis von 7:1 für so genannte Regenbogenfamilien nicht nur realitätsfern ist. Es ist vielmehr vollkommener Blödsinn.

Und dieser Blödsinn findet sich ja nicht nur im einleitenden Lückentext-Diktat. Ein Konzentrationsspiel, in dem Schüler_innen die Verbindung von Kindern zu ihren Familien aufmalen sollen hat dann folgendes Lösungsszenario:

  • ein Kind hat zwei Pflegeväter
  • ein anderes Kind lebt beim alleinerziehenden Vater, der früher eine Frau war
  • das dritte Kind ist von seinen schwulen Vätern adoptiert worden
  • Kind Nummer vier lebt in einer lesbischen Familie und ist durch künstliche Befruchtung entstanden
  • eines der Elternteile des fünften Kindes ist intersexuell
  • und das sechste Kind ist von der Lebenspartnerin der Mutter adoptiert worden.

Keine Frage, all diese Szenarien gibt es, und es ist gut dass es sie gibt. Aber als ausschließliche Familienmodelle? Und wie wird Unterrichtsmaterial von Lehrer_innen, Eltern, Kindern akzeptiert, das so wirklichkeitsfremd ist?

Natürlich ist das der Klassiker für alle, die gern mit Statistik zu tun haben – man verschiebt den Maßstab so lange bis es passt. Nur hier halt andersrum.

Wer auch immer dieses Dokument an die Öffentlichkeit gegeben hat – es war vermutlich ein weiser Entschluss.

Der Schaden ist ja nicht die Debatte in rechtskonservativen Kreisen (diese Leute wittern immer den Untergang des Abendlandes und äußern Thesen, die unglaublich abstrus sind). Man liefert aber genau diesen Leuten die Geschäftsgrundlage – der Schaden entsteht jetzt ganz konkret allen Lesben, Schwulen, Transgendern, Intersexuellen und ihren Kindern, die mit diesen Arbeitsmaterialien in gesellschaftliche Diskussionen hineingezogen werden.

So bekämpft man keine Diskriminierung, so schafft man sie. Und das finde ich traurig.